Niederdedinghausen. Über 70 Jahre ist es her, dass der Brite Bernard Tamplin das letzte Mal auf dem Hof Stratmann in Niederdedinghausen war – damals als junger Besatzungssoldat. Jetzt ist er, mit beachtlichen 90 Jahren, an den Ort zurückgekehrt, an den er sich all die Jahre mit Begeisterung und Wehmut erinnert hat. Seinen Herzenswunsch ermöglicht haben die hartnäckigen Recherchen seiner guten Freundin, Liselotte Steffen, aus der Schweiz.
Reichlich überrascht war Familie Schulte-Stratmann aus Niederdedinghausen, als vor einigen Tagen ein Anruf kam, dass sie händeringend gesucht wird. Und zwar von Liselotte Steffen, die ihren langjährigen Freund und einstigen „Gastvater“ Bernard Tamplin zum 90. Geburtstag mit einer Reise in die Vergangenheit überraschen wollte.
Aber von vorne: Liselotte Steffen zog als junge Studentin nach London, wo sie bei den Tamplins unterkam: „Sie haben mich seelisch adoptiert“, sagt sie selbst. Bis heute stehen sie in engem Kontakt, doch schon damals bemerkte sie Bernard Tamplins Sehnsucht nach einem ländlichen Ort in Deutschland. „Ich habe ihn gefragt, warum er einige Worte deutsch spricht“, erinnert sie sich. Und: „Er hat mir von diesem Ort bei Lippstadt erzählt, wo er als Soldat zusammen mit einem Kameraden auf einem Bauernhof für die Pferde der Offiziere zuständig war.“
Im September stand der 90. Geburtstag von Tamplin an – diesen nahm Steffen zum Anlass, um das Lippstädter Stadtarchiv anzuschreiben und mit alten Fotos eines Bauernhauses nach dem besagten Ort zu suchen. Denn: Zum 90. sollte es eine Überraschungsreise dorthin sein.
Aufmerksame Augen fanden Steffens Mails in Lippstadt: Archivar Marvin Herrmann und der Ortsvorsteher von Hörste, Berthold Buttler, nahmen sich der Suche an; Letzterer gab den entscheidenden Hinweis: Buttler erkannte das Gebäude auf einem der Fotos – der Plan der Schweizerin sollte aufgehen, die Reise wurde binnen Tagen gebucht. Und Tamplins Reaktion am Ehrentag? „Ihm liefen die Tränen!“
Nur zehn Tage später saßen beide im Flugzeug. Familie Schulte-Stratmann empfing das Duo am vergangenen Wochenende auf ihrem Hof: „Unfassbar, was hier für uns getan wurde“, bedankten sich die beiden Gäste für das (wie sie es nannten) „Reiseleitungs-Komplettpaket“.
Beim Spaziergang über das Gelände konnten die Beteiligten in Tamplins Augen die Erinnerungen förmlich aufblitzen sehen: Den Bach hinter dem Hof behielt er als See im Gedächtnis, auf dem er mit den Stratmanns und ihren fünf Töchtern Schlittschuh lief. „Meine Mutter schwärmte von den beiden Briten“, erklärte Franz-Josef Schulte-Stratmann. Auch Namen und sogar Adressen fielen dem Briten plötzlich wieder ein.
Ende der 1940er Jahre hatte Tamplin zusammen mit einem Kameraden in einem eigenen Wohnbereich auf dem Hof gelebt. Seine britische Einheit hatte ihre Basis in Braunschweig, die Anreise erfolgte über Hannover. Durch seine Zuständigkeit für die Offizierspferde auf dem Hof, war es ihm möglich, täglich auszureiten. Als wäre es gestern gewesen, berichtete er den Schulte-Stratmanns vom Zusammenleben mit ihren Vorfahren. Beide Seiten tauschten alte Fotos aus – auf so manchem entdeckte sich Tamplin gar selbst wieder.
Abrunden soll die Reise ein Besuch der Wewelsburg und der Möhnetalsperre.
Quelle: Tageszeitung „Der Patriot“ vom 02.10.2018